Im deutschen Südwesten werden die KZ-Außenlager meist geleugnet, verschwiegen oder verharmlost. Mancherorts kehren KZ-Überlebende aus Westeuropa an die Orte zurück und fordern Erinnerungsmale ein. Erste Erinnerungszeichen sind Friedhöfe – aus KZ-Massengräbern werden Grabanlagen, vor allem in der französischen Besatzungszone, so in Schömberg, Schörzingen und Bisingen sowie in Hailfingen, Spaichingen und Haslach. In der amerikanischen Besatzungszone werden nur selten Grab- und Mahnmale errichtet. Die frühen Mahnmal-Inschriften in beiden Besatzungszonen sind meist in französischer, lateinischer, polnischer oder hebräischer Sprache verfasst. Sie sind Ausdruck der Trauer der Überlebenden bzw. Hinterbliebenen um ihre Mithäftlinge und Angehörigen. Eine Ausnahme bildet der KZ-Friedhof in Heilbronn-Neckargartach, der 1946 von Bürgerinnen und Bürgern initiiert und angelegt wird.
Foto: KZ-Friedhof Bisingen 1946
Nach der Gründung der Bundesrepublik geraten die Konzentrationslager vielerorts in Vergessenheit. Nur in wenigen Orten werden in den 1950er Jahren von den Kommunen oder Landkreisen Gedenk- und Erinnerungsmale auf Grabanlagen bzw. Friedhöfen errichtet; Einzelfälle gehen meist auf die Initiative von Überlebenden, Opferverbänden oder französische Behörden zurück. Die Inschriften der von deutscher Seite errichteten Gedenksteine und -tafeln sind sehr allgemein gehalten. Oft verschleiern sie mehr als sie aussagen.
Französische Behörden bringen 1953 in Neckarelz eine Gedenktafel für die KZ-Opfer am Schulgebäude an und errichten ein Mahnmal in Neckargerach. Es sind die einzigen Erinnerungsmale, die sich an historischen Orten, also außerhalb von Friedhöfen und Grabanlagen, befinden.
Foto: Mahnmal auf dem Reutlinger Friedhof „Unter den Linden“. Inschrift: „Den Opfern der Gewalt“.
Nachdem die französische „Gräbermission“ 1954 die sterblichen Überreste von 1.488 Opfern des KZ Vaihingen zur Identifizierung exhumiert hatte, wird der KZ-Friedhof neugestaltet; die Toten werden mehrheitlich wieder vor Ort beigesetzt. 1956 errichten die deutschen Behörden ein Mahnmal; die Neugestaltung des Friedhofs ist 1958 abgeschlossen.
Foto: Gräberfeld des KZ-Friedhof Vaihingen/Enz
General de Gaulle weiht die vom französischen Staat getragene Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Hauptlagers Natzweiler ein. Jährlich finden dort große Gedenkfeiern statt; die Gedenkstätte wird von vielen Schülerinnen und Schülern besucht. Die Außenlager sind dagegen aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden.
Foto: Charles de Gaulle
In den 1960er und frühen 1970er Jahren setzt sich der Stuttgarter Pfarrer Fritz Majer-Leonhard, Leiter der „Hilfsstelle für Rasseverfolgte“, intensiv für die Errichtung von Mahnmalen oder Gedenktafeln für NS-Opfer in Baden-Württemberg und die Pflege von KZ-Grabstätten ein. In mehreren Orten werden (neue) Erinnerungsmale errichtet. Die Inschriften bleiben jedoch meist vage und nebulös.
Foto: Gedenkstein mit der Inschrift "Hier ruhen 1158 Tote unbekannten Namens aus vielen Ländern Europas"
Als auf dem Gelände des einstigen Wüste-Werks 2 ein „Begegnungszentrum für Erholung und Sport“ angelegt wird, errichtet der örtliche Fußballverein dort einen Gedenkstein mit deutscher, französischer und lateinischer Inschrift. Die deutschsprachige Inschrift lautet schlicht (in Anlehnung an Friedrich Schillers Thermopylen-Epigramm): „Wanderer, gehst du hier vorbei, gedenke derer, denen das Leben genommen wurde, bevor sie es sinnvoll gelebt hatten.“ Gleichwohl ist dieser Gedenkstein das erste Erinnerungsmal, das von deutscher Seite außerhalb eines Friedhofs bzw. einer Grabanlage zum Gedenken an die Opfer eines Natzweiler-Außenlagers errichtet wurde.
Seit Mitte der 1970er Jahre befasst sich ein Arbeitskreis von Studierenden der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg wissenschaftlich mit der Geschichte einzelner Natzweiler-Außenlager in Südwestdeutschland. Er steht unter der Leitung des Geschichtsdidaktikers Herwart Vorländer. In den meisten Fällen bilden diese Studien die erste Erforschung der betreffenden Konzentrationslager. 1978 werden sieben Arbeiten in einem Sammelband veröffentlicht: Herwart Vorländer (Hg.): Nationalsozialistische Konzentrationslager im Dienst der totalen Kriegsführung. Sieben württembergische Außenkommandos des Konzentrationslagers Natzweiler/Elsass, Stuttgart 1978: Kohlhammer (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, 91).
Ca. 40 Jahre nach Kriegsende verändert sich das Gedenken radikal: Gewerkschafter*innen, Lehrer*innen, kirchlich engagierte Menschen oder Jugendliche bilden bürgerschaftliche Aktionsgruppen. Diese erforschen die Geschichte des einstigen Außenlagers „vor der Haustüre“ und suchen nach Überlebenden in ganz Europa. Daneben setzen sie sich für würdige Erinnerungsmale und aussagekräftige Informationstafeln an den historischen Orten ein. Die Gruppen kämpfen für die Errichtung von Gedenkstätten und stoßen auf viel Widerstand. Lokale Gedenkkulturen entstehen, gerade durch die Reibung an den Widerständen. Vielerorts werden nun inmitten der Städte und Gemeinden Gedenk- und Informationstafeln, Mahnmale und Gedenksteine errichtet. Aus den lokalen Aktionsgruppen werden häufig Gedenkstätteninitiativen.
Die Gedenkstätte Eckerwald ist die erste Natzweiler-Gedenkstätte in Deutschland. 1989 wird der Gedenkpfad mit Informationstafeln und einer Skulptur auf dem einstigen Geländes des „Wüste“-Werks 10 (Zepfenhan) eingeweiht. Im Jahr darauf folgt eine Ausstellung (Dokumentationsstätte) in einem erhalten gebliebenen Backsteingebäude der ehemaligen Gasreinigungsanlage.
Eröffnung der KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen im Untergeschoss der Gustav-Wiederkehr-Schule.
Im Oktober 1990 werden die KZ-Friedhöfe in Vaihingen und Unterriexingen von Neonazis geschändet; Grabsteine werden aus dem Boden gerissen, mit Hakenkreuzen, SS-Runen und Parolen beschmiert. Mehr als 1.000 Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich wenige Tage später an einem Schweigemarsch zum Gedenken an die KZ-Opfer und gegen Antisemitismus.
Gründung der „Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen Baden-Württemberg“. Neben den KZ-Gedenkstätten und -initiativen beteiligen sich auch Erinnerungsstätten zu jüdischem Leben, zu Widerstand, Verfolgung und anderen Opfergruppen an der landesweiten Vernetzung.
Auf Drängen der LAGG beschließt der Landtag von Baden-Württemberg, einen Titel „Gedenkstättenförderung“ in den Landeshaushalt aufzunehmen. Außerdem wird ein Gedenkstättenreferat bei der Landeszentrale für politische Bildung eingerichtet Dieses berät die Gedenkstätten im Land, unterstützt deren Koordinierung und verwaltet die Landesmittel. Über die Vergabe der Mittel an die Gedenkstätten entscheidet – nach den vom Landtag beschlossenen Vorgaben – seitdem ein Gremium, das paritätisch mit Vertreter*innen der LpB und des Sprecherrats der LAGG besetzt ist.
Eröffnung der Ausstellung „Schwierigkeiten des Erinnerns – Das Konzentrationslager in Bisingen und der Ölschieferabbau während des Zweiten Weltkriegs“ im Heimatmuseum Bisingen. Ursprünglich als temporäre Ausstellung konzipiert, bleibt die Gedenkstätte ab 1998 als Dauerausstellung bestehen. Seit 2006 trägt sie den Titel „Mit zur Erinnerung – Mut zur Verantwortung“. 2019 wird die Gedenkstätte neugestaltet.
Eröffnung der KZ-Gedenkstätte im ehemaligen Salzbergwerk in Bad Friedrichshall-Kochendorf.
Eröffnung der KZ-Gedenkstätte im Anbau der Clemens-Brentano-Grundschule in Mosbach-Neckarelz.
Eröffnung der Freiluft-Gedenkstätte „Vulkan“ im Urenwald bei Haslach im Kinzigtal. Es erinnert an die drei KZ-Außenlager, die sich in Haslach befanden
Eröffnung der KZ-Gedenkstätte in Schwäbisch Hall-Hessental auf dem ehemaligen Lagergelände beim Bahnhof.
2002 wird die KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz eröffnet. Eine Medieninstallation („black box“) in einer über den erhalten gebliebenen Fundamenten der ehemaligen Entlausungs- und Duschbaracke des Lagers errichteten Halle wird 2005 eingeweiht. 2017 wird die Gedenkstätte um einen Seminar- und Archivraum ergänzt.
Der französische Historiker Robert Steegmann verteidigt an der Universität Strasbourg seine grundlegende Doktorarbeit über das Konzentrationslager Natzweiler und seine Außenlager. Sie erscheint 2005 als Buch (Struthof. Le KL-Natzweiler et ses kommandos. Une nébuleuse concentrationnaire des deux côtés du Rhin, 1941-1945). Damit wird in Frankreich die Basis dafür geschaffen, den Gesamtkomplex „Natzweiler“ wieder in den Blick zu nehmen.
Vor dem Portal zum alten Engelbergtunnel, wo bereits im Jahr 2000 eine Informationstafel aufgestellt worden war, wird eine 25 Meter breite und drei Meter hohe Stahlwand errichtet. Dort findet man die eingravierten Namen der Häftlinge des KZ Leonberg und weiterer Zwangsarbeiter. Die Namenswand bildet den ersten Teil der drei Jahre später fertiggestellten Gedenkstätte.
Nachdem im Jahr 2005 beim Hangar auf dem ehemaligen Flugplatzgelände Filderstadt/Echterdingen-Bernhausen (heute US-Airfield) ein Massengrab des KZ Echterdingen entdeckt worden war, werden die exhumierten jüdischen Opfer an dieser Stelle wieder beigesetzt und ein (öffentlich nicht zugänglicher) KZ-Friedhof angelegt.
2007 wird ein Kubus mit den Namen der Todesopfer der Konzentrationslager Schömberg und Dautmergen neben dem KZ-Friedhof Schömberg eingeweiht. Im Jahr darauf wird folgt die Einweihung des dokumentarischen Teils des Lern- Gedenkorts in Gestalt von zwölf Informationstafeln.
Eröffnung der KZ-GedenkstätteLeonberg im Vorraum des Südportals des alten Engelberg-Tunnels. Ergänzend dazu wird im Stadtmuseum ein Dokumentationsraum zur Geschichte des Lagers eingerichtet.
Eröffnung der KZ-Gedenkstätte (Dokumentationsraum) im Untergeschoss des Tailfinger Rathauses sowie Einweihung eines Mahnmals auf der ehemaligen Landebahn des einstigen Flugplatzes (Gemarkung Hailfingen). Ergänzend dazu wird auf dem Friedhof Tailfingen eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer eingeweiht. Auf dem Reutlinger Friedhof „Unter den Linden“ erweitert nun eine Gedenk- und Informationstafel das seit 1952 bestehende Mahnmal. Im Herbst desselben Jahres wird ein Gedenkpfad eingeweiht, der mehrere Erinnerungsorte miteinander verbindet.
Einweihung der Freiluft-Gedenkstätte vor dem US-Airfield Filderstadt/Leinfelden-Echterdingen. Die beiden sich kreuzenden „Wege der Erinnerungen“ laufen auf den (öffentlich nicht zugänglichen) Hangar des ehemaligen KZ-Außenlagers sowie die KZ-Grabstätte zu.
Eröffnung der neuen KZ-Gedenkstätte Neckarelz im umgebauten zweigeschossigen Gebäude der ehemaligen Comenius-Schule.
Erstes grenzüberschreitendes deutsch-französisches Projekt: Die Wander-Ausstellung „Bientôt la liberté nous reviendra/Freiheit, so nah, so fern – Das doppelte Ende des Konzentrationslagers Natzweiler/La double fin du camp de concentration de Natzweiler“ wird an über 40 Orten auf beiden Rheinseiten gezeigt.
In den Balinger Stadtteilen Frommern, Engstlatt und Erzingen werden, initiiert vom „Arbeitskreis Wüste“, Stelen errichtet, die an historischen Orten der Opfer der „Wüste“-Lager gedenken und über die Geschichte des Ölschiefer-Projekts in Balingen informieren.
Eröffnung der französischen Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Außenlagers Wesserling/Urbès
Gründung des „Verbundes der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler e.V.“ (VGKN) durch zwölf baden-württembergische KZ-Gedenkstätten. Vier weitere Gedenkstätten aus Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz schließen sich dem Verbund in den folgenden Jahren an.
Margit-Horváth-Zentrum/KZ-Gedenkstätte Walldorf
Gründung des Vereins „Initiative KZ-Gedenken Spaichingen“.
Eine unabhängige internationale Jury empfiehlt der Europäischen Kommission die Eintragung der Stätte „Ehemaliges Konzentrationslager Natzweiler und Außenlager“ in die Liste des europäischen Kulturerbes. Dies geschieht aufgrund der grenzüberschreitenden Erinnerungskultur und der Vermittlung zentraler europäischer Werte (Menschenrechte, Demokratie, Toleranz) in den Gedenkstätten.
Das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg wählt das Thema „Gedenkstätten der Außenlager von Natzweiler“ zum Landesthema im Rahmen des Europäischen Kulturerbe-Jahres.
Am 26. März 2018 werden CERD und VGKN im Rahmen eines Festakts im bulgarischen Plovdiv mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet.
Die bislang bestehenden Gedenkzeichen an das KZ-Außenlager in der Stadt Spaichingen erfuhren am 28. September 2019 eine bedeutsame Erweiterung. Zehn dreisprachige Informationstafeln bilden einen „Weg der Erinnerung“ zur Mahnmal des Künstlers Roland Martin.
Sie berichten über das Lager, die Zwangsarbeit und das Leid der Häftlinge, die Einbettung des Lagers in den KZ-Komplex Natzweiler sowie über das Ende des Lagers und die Nachgeschichte.
Designed with by pixagentur